Leserbrief Arheilger Post vom 08.10.2020
Nepper, Schlepper, Bauernfänger? Oder warum bei Aldi-2 aus blau rot werden muss.
Als Architekt und einigermaßen versiert im Bauplanungsrecht, hatte ich das mäßige Vergnügen bei einer „Bürger-Beratung“ zweier Mitarbeitern vom Stadtplanungsamt dabei zu sein. Sie kamen zu einem Dialog mit einem Aldi2 Grundstücksnachbarn, der mich zum Gespräch als Beobachter vorsorglich gebeten hatte.
Erörtert werden sollte, warum das Stadtplanungsamt auf eine scheinbar harmlose Genehmigung bezüglich Aldi schriftlich drängte. Das planende Büro habe bei Aldi 2 und seinen vielen Änderungen aus Versehen eine rote Linie mit einer blauen verwechselt – und das müsse jetzt berichtigt werden. Das sei ja entschuldbar und man wolle diesen Lapsus intern mit dem Grundstücksnachbarn bereinigen, ohne nochmals aufwändig eine Neuauflage der Offenlegung durchführen zu müssen.
Unglaubliches durfte ich in der Folge mit anhören. Teilweise versuchte ich auch ziemlich barsch, aber letztlich erfolglos, mich einzumischen, zu widersprechen. Die Krux bei solchen Themen ist es, den Sachverhalt und was es mit „rot“ und „blau“ auf sich hat, verständlich für jedermann in seiner Brisanz rüberzubringen. Wichtig für das weitere inhaltliche Verständnis ist, dem Leser deutlich zu machen, was der baurechtliche wichtige Unterschied von einer Baugrenze zu einer Baulinie ist.
Ich werde es versuchen, deshalb ein kleiner Exkurs:
Bei einer Baulinie muss bis an diese Linie gebaut werden, bei einer Baugrenze kann, aber muss nicht bis dahin gebaut werden. Wenn eine Baugrenze wie beim Aldi2 in „blau“ – ob nun versehentlich oder nicht – bis zur Grundstücksgrenze reicht, kann bis dahin gebaut werden. Allerdings hier nur, wenn der Nachbar dem zustimmt und auf den üblichen Grenzabstand seines angrenzenden Nachbarn auf min. 3 Meter laut HBO (Hessische Bauordnung) nicht nur verzichtet, sondern gleichzeitig einer diesbezüglichen Abstandsflächenbaulast auf seinem Grundstück zustimmt.
Natürlich bedeutet das eine Wertminderung und normalerweise stimmt einer solchen Baulast der Nachbar verständlicherweise nicht zu.
Eine Baulinie hat im Allgemeinen den Sinn, städtebaulich einheitliche Häuserfronten, z.B. entlang einer Straße, durchzusetzen. Auf einem Grundstück mit seitlichen, nicht öffentlichen Flächen und Privatgärten, hat eine solche Baulinie als Grenzlinie, die eindeutig diesen Bau bevorzugt, eigentlich nichts verloren. Hier ist ein städtebaulicher und / oder ästhetischer Zweck nicht zu erkennen. Insofern könnte man schon von einem Missbrauch solcher Linien beim Aldi-Grundstück sprechen.
Nun Weiter zum Gespräch mit den zwei Herren:
Es sei ja schon immer jedermann zuvor klar gewesen, dass die Aldi2-Bebauung nahezu rundum bist zu den Grundstücksgrenzen gehe und die „Umfärbung“ sei somit mehr eine „pro forma“-Angelegenheit, eine Petitesse.
Belasse man es bei der jetzigen blauen Linie, müsse der Grundstücksnachbar sogar eine Baulast eintragen lassen und das wolle man ihm zuliebe doch vermeiden.
Eine solche unangenehme und teure Eintragung erspare man dem Nachbarn, wenn man die blaue Linie halt in rot ändere und der Nachbar das unterschreiben würde
Dämmert dem Leser etwas?
Hier soll der Nachbar unglaublich rotzig übertölpelt werden. Indem man unterschwellig droht und behauptet, er müsse so einer Baulast auf seinem Grundstück zustimmen, damit der Aldi2 wie geplant bis an die Grenze passt – und dies mit einer Höhe von ca. 5 Metern! Verschwiegen wird schlicht, dass der Nachbar dem keineswegs zustimmen muss und im Gegenteil auf 3 Meter Abstand des Aldi2 – Gebäudes bestehen kann. Richtig ist, dass damit die vorliegende Planung, zumindest in einem wichtigen Teilbereich, nicht wie geplant ausgeführt werden könnte. Richtig ist auch, dass bei einem dortigen Wechsel zu einer Baulinie der Nachbar einer Grenzbebauung wehrlos ausgeliefert wird und es tatsächlich dann keiner Baulast bedarf.
Ich habe selten eine solche verschwurbelte Verdrehung von Tatsachen und baurechtlichen Halbwahrheiten anhören dürfen. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, wurde dem Nachbarn erklärt, wenn er dieser Änderung zustimmt, werde man ihm auch seine Grenzmauer von 2,70 Meter Höhe als (gnädige) Ausnahme belassen, genehmigungsfähig seien da nämlich nur max. 2,00 Meter.
Da die zwei Herren nur eindimensionale DinA3-Pläne mit mal roter, mal blauer Farbe an den Grenzen vorlegten, ist dem Laien schwer zu illustrieren, was das in der dritten Dimension bedeutet. Das gilt natürlich für alle anderen direkten Aldi2-Nachbarn.
Dem Nachbarn versuchte ich bildhaft klar zu machen, was blau zu rot bedeuten würde. Aldi müsse bei „rot“ (Baulinie) bis an seine Grenze bauen – das auch noch an der Südgrenze und fast 5 Meter hoch! Dazu kämen noch ca. 4Meter unter jetzigem Niveau für die Tiefgarage. Damit sei eine Baudokumentation seines Bestandes notwendig, um eventuell auftretende Bauschäden durch Rammarbeiten und sonstige Einflüsse nachweisen zu können. Nach Tausch von blauer zu roter Linie, kann das Stadtplanungsamt locker rechtssicher argumentieren, das sei ja jetzt eine vom Nachbarn sogar genehmigte Baulinie und er habe das nun – weil planungsrechtlich festgeklopft – so zu erdulden. (Auch Aldi könne ja dann leider nicht anders, selbst wenn er wollte und müsse bis an diese Sollgrenze bauen)
So langsam dämmerte dem Grundstückseigner, was da real mit seinem Grundstück geschieht und wie die Stadt damit umgeht. Hier wird das Grundstück eines Bürgers gravierend in seinem Wert zu Gunsten eines nicht gerade armen Discounters gemindert.
Misslich war auch der zeitliche Druck auf den Eigentümer. Das Anschreiben und die Pläne (einmal mit blau, einmal mit rot) wurden amtlich zugestellt und die Frist für eine Abwägung / Erwiderung betrug knappe 14 Tage! Zu lesen war darin auch, dass die ggf. abgegebene Stellungnahme zu dem Anschreiben den Rechtscharakter einer Anregung habe und es sich nicht um einen Widerspruch handele. (Diese juristisch frech-fragwürdige Bestimmung will ich nicht auch noch bewerten)
Deutlich wies ich allerdings die zwei Herren auf den dreisten Umgang mit dem Bürger mittels baurechtlicher „Unanständigkeiten“, der Genehmigung einer nahezu 100 prozentigen Überbauung bei Aldi und der geäußerten Halbwahrheiten hin. Allerdings versuchte ich die zwei Herren zu entschuldigen, da sie ja auf höhere Weisung so handeln müssten. Dem sei keineswegs so, so die Erwiderung. Man sei überzeugt von diesem Markt und seiner Notwendigkeit. Der Höhepunkt dieser Antwort kam dann auch noch:
Das Bauwerk sei von „öffentlichem Interesse“ und damit seien solche bauliche Sonderrechte üblich und sattelfest. Daraufhin fragte ich, ob denn der Aldi2 im Besitz eines Milliardärs im Ernst wie ein Krankenhaus, eine Schule oder ein Altenheim einzustufen sei? Fassungslos kopfschüttelnd erhielt ich ein überzeugtes „Ja“ zur Antwort.
Noch ein Nachklapp:
diese „Story“ versuchte ich dem Darmstädter Echo mit Belegen zu berichten, allerdings hatte man dort kein Interesse. Glücklicherweise gibt es die „APO“.
V.i.S.d.P.
Helmut Klett.
1.Vors. Der UWIGA