Prüfsteine der Projektgruppe AKW zur Kommunalwahl 2021
Eine Initiative aus Arheilgen, Kranichstein und Wixhausen
Mit dem sogenannten Masterplan 2030+ ist Darmstadt auf dem Holzweg. Wassermangel, Hitzestress und Baumsterben werden die Folge sein. Der aktuelle „Masterplan“ signalisiert vor allem für den Darmstädter Norden einen künftigen Flächenverbrauch in unglaublicher Dimension. Die Menschen im Westen und Norden von Arheilgen und im Osten von Wixhausen sollen von riesigen Gewerbegebieten einkesselt werden. Dies ruft den Widerstand vieler Bürgerinnen und Bürger in Wixhausen, Arheilgen und Kranichstein hervor.
Um ihnen ein Forum zu bieten und fachlich auf Augenhöhe mit den Planungsverantwortlichen in den Dialog zu treten, hat die von der IGAB gegründete Projektgruppe AKW begonnen, sich mit der Entwicklung der drei nördlichen Stadtteile ebenso kritisch wie konstruktiv auseinander zu setzen. Dabei stützen sich die Mitglieder aus den drei Stadtteilen nicht nur auf ihre fundierten Kenntnisse bezüglich der konkreten Situation vor Ort, sie haben auch das planerische Gesamtgefüge „Darmstadt“ im Blick. Und sie berücksichtigt die aktuell in führenden Industrieländern einschlägigen Grundsätze für nachhaltige Stadtentwicklung, einschließlich ökologische und demografische Entwicklungen. Ein erstes Ergebnis dieser Projektgruppe ist eine erste Bewertung des sogenannten Masterplans 2030+.
Die Projektgruppe warnt davor, dass die Stadt Darmstadt seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg zum zweiten Mal dabei ist, den Pfad einer nachhaltigen Stadtentwicklungsplanung zu verlassen, wenn sie den „Masterplan“ umsetzt. Dies untermauert sie mit einem Rückblick auf Wendepunkte der Darmstädter Stadtentwicklung: Die „Stadt im Walde“, wie Darmstadt vor dem Krieg genannt wurde, hat in der Wiederaufbauphase in den 50er Jahren ihre Vorkriegsgröße erlangt ohne in die Freiräume gravierend einzugreifen. Diese positive Entwicklung haben die Stadtväter jedoch im Laufe der Zeit als gefährdet angesehen. Denn die Stadt entwickelte sich zu Beginn der 60er Jahre ausgesprochen dynamisch weiter. So schuf der Ulmer Professor für Landschaftsplanung Günther Grzimek im Auftrag der Stadt das Konzept einer Stadterweiterung mit eigenständigen Stadtteilen in Form von fünf Waldsatelliten im Darmstädter Osten. Dies hatte das Ziel, die damals noch bestehenden stadtnahen Grünräume zu erhalten.
Mit Ausnahme des neuen Stadtteils Kranichstein wurde das Konzept nicht weiterverfolgt. Denn man hatte den Plan einer Ostautobahn und damit die Erschließung dieser Satelliten aufgegeben, und man sah es nun als wichtiger an, die bestehende Infrastruktur zur Stadtentwicklung zu nutzen. So entstanden am Rand der Innenstadt und der Vorstädte großflächige neue Wohn- und Gewerbegebiete. Das hatte zur Folge, dass zwar Silzbachaue, Oberfeld, Prinzenberg und Eberstadt-Südost geschont, die stadtnahen Grünräume aber schrittweise zugebaut wurden. Da für das Grzimek-Konzept keine Alternative entwickelt und immer weiter gewurstelt wurde, wurde hier bereits die historische Chance vertan, zu einer konzeptionellen Stadtentwicklungsplanung zu kommen.
Als es Darmstadt in den 80er Jahren leid war, sich mangels eines gültigen Flächennutzungsplans jeden Bebauungsplan vom Regierungspräsidium genehmigen zu lassen, begann man mit einer längerfristigen Bauleitplanung. Leitbild war eine Stadterweiterung im Darmstädter Norden mit großflächigen Gewerbe- und Wohngebieten. Dies wiederum ist dokumentiert in der Grundkonzeption 1988 für den Flächennutzung- und Landschaftsplan. Die Stadtregierung scheiterte mit diesen Vorstellungen bei öffentlichen Anhörungen und die noch im Entwurf von 1999 dargestellten „langfristigen Neuerschließungsgebiete“ verschwanden schrittweise bis zu dem 2006 endlich genehmigten Flächennutzung- und Landschaftsplan. Das Ergebnis war ein bemerkenswert nachhaltiger, weil freie Flächen schonender und sich auf Innenentwicklung beschränkender Plan. Er ist nach wie vor gültig und sollte auch durchaus beibehalten werden. Dieser Entwicklungsrahmen wird nämlich einer nachhaltigen Stadtentwicklung in vielerlei Weise gerecht: Er beinhaltet große innerstädtische Konversionsflächen und hat für alle Stadtteile Umnutzungs- und Verdichtungspotentiale im Blick. Außerdem benennt er viele notwendige Infrastrukturmaßnahmen, um die Stadt im nicht zuletzt klimatisch stark belasteten südhessischen Verdichtungsraum zukunftsfähig zu machen. Ein angesichts des Klimawandels besonders wichtiger Aspekt.
Mit dem nun vorliegenden Masterplan 2030+ wird jedoch der Öffentlichkeit ein ganz anderes Szenario präsentiert: Hier stehen gewaltige Bevölkerungs- und Arbeitsplatzzuwächse und entsprechender Flächenbedarf im Fokus. Im Rahmen dieser Planung tauchen im Darmstädter Norden die großflächigen Gewerbe- und Wohngebiete aus den 80er und 90er Jahren wieder auf und es verschwindet nun fast alles, was Grzimek an Grünräumen sichern wollte.
Eine Stadt mit einem bereits gegenwärtig immensen Aufkommen an Berufs- und Ausbildungspendlern benötigt jedoch keine weiteren Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Auch ist die Praxis unvertretbar, mit hektischem Wohnungsbau Menschen in diese Stadt zu locken, da dies nur zu Lasten der ländlichen Regionen auch in Hessen geht, die unter Entvölkerung leiden. Das im Masterplan benannte Vorhaben, die Siedlungsräume im Norden von den östlichen Kaltluftentstehungs- und Kaltluftabflussgebieten abzuriegeln, verschlechtert hier das vorbelastete Wohn- und Stadtklima. Und weiterer Siedlungsdruck trägt dazu bei, dass die regionalen Wälder wegen Wassermangels noch schneller absterben und die Wasserversorgung der Region in große Gefahr gerät.
Darmstadts Zukunftsplanung sollte sich daher viel stärker auf den Strukturwandel im Stadtzentrum und Anforderungen im regionalen Verbund orientieren. Dringend korrekturbedürftig ist die Wohnungsbaupolitik, die derzeit nur zur Mietpreissteigerung und zu einer weiteren Entvölkerung auch in den südhessischen Kreisen führt. Ebenso sollte das Abwerben von Unternehmen und Betrieben aus der Region unterbleiben. Stattdessen gilt es den Strukturwandel im Stadtzentrum mit Wohnungen und tertiären Arbeitsplätzen und die strukturschwachen Landesteile durch die Auslagerung zentraler Einrichtungen z. B. im Bereich Bildung und Forschung aus den Oberzentren zu fördern.